Bangladesh 2025
Einsatzbeginn in Bangladesh
Am 9. November 2025 verließ ein 7-köpfiges Team von „Ärztecamp International“ (ÄCI) München zu einer 14-tägigen „field mission“ nach Bangladesh. Es handelte sich um den 10. Einsatz von ÄCI in dem südasiatischen Land, wiederum in enger Kooperation mit der lokalen NGO „Friendship Bangladesh“. Während eines Zwischenstopps in Dubai stießen zwei weitere Teammitglieder aus Hamburg und Wien zur Gruppe - insgesamt arbeiteten somit neun Fachkräfte während der Mission zusammen.
Die Flugkosten für alle Teilnehmenden wurden erneut von der Emirates Airline Foundation übernommen. Der Einsatz fand an Bord des „Lifebuoy Floating Hospital“ (M.V. Friendship-3) statt - einem Hospitalschiff, das in den nördlichen Flussregionen Bangladeshs medizinische Grundversorgung für schwer erreichbare Landbevölkerung leistet.
Das Hospitalschiff „Lifebuoy“
Die Lifebuoy ist ein rund 50 Jahre alter, Anfang der 1990er Jahre zum Hospitalschiff umgebauter ehemaliger französischer Öltanker. Vor diesem Einsatz hatte das Schiff neun Monate lang in Dhaka im Trockendock gelegen, um eine umfassende Überholung von Rumpf, Maschinen und Mannschaftsquartieren zu erhalten. Der Einsatz von ÄCI war einer der ersten nach dieser umfangreichen Werftphase.
Das Schiff ist stationiert am Brahmaputra River, rund 40 km nördlich von Sirajganj, nahe der Ortschaft Sariakandi im Verwaltungsbezirk Kazipur (District Sirajganj, Division Rajshahi). Die Anreise erfolgte nach der Landung in Dhaka (10. November) über eine fünfstündige Fahrt durch Tangail und Bogra bis zum Ufer bei Meghai Ghat, von wo aus das Team eine knappe Stunde mit einem traditionellen Holzkahn flussaufwärts zum Schiff ruderte.
Das Team
Team Bangladesh 2025 bestand aus folgenden Mitgliedern:
- Dorothea Licht (Physiotherapie, Team- und Reisekoordination)
- Dr. Susanne Müller (Chirurgie)
- Dr. Florian Hasner (Chirurgie und Urologie)
- Dr. Katja Lee-Mahdjoobian (Anästhesie)
- Sylvia Brunthaler (Anästhesie- und Intensivschwester)
- Dr. Sonja Trepte (Orthopädie)
- Dr. Arend Betz (Pädiatrie)
- Dr. Benedikt Wrzodek (Allgemeinmedizin)
- Dagmar Eitenkötter (Physiotherapie)
Jedes Teammitglied brachte eine Eigenleistung von 620 Euro für lokale Transporte, Hotels und Verpflegung auf dem Schiff auf.
Medizinische Ausrüstung und Hilfsgüter
Zur Sicherstellung der operativen und diagnostischen Kapazitäten brachte ÄCI umfangreiches medizinisches Material mit:
- Medikamente, Verbandsstoffe, Pflaster, Nahtmaterial
- Netz-Implantate, Orthesen, Bandagen, Gehstützen
- Spezialnadeln für Spinalanästhesie, Larynxmasken
- Hände-Desinfektionsmittel
- Ein mobiles Ultraschallgerät, finanziert aus Spendengeldern, das erstmals in dieser Mission eingesetzt wurde
Die Bordeigene Apotheke stellte sämtliche verordneten Medikamente kostenlos zur Verfügung - inklusive individuell dosierter Antibiotika-Sirupe für Kinder.
Tagesablauf auf der Lifebuoy
Schon am Ankunftstag (10. November) fand das Screening von 63 potenziellen OP-Patienten statt, von denen 52 für 55 chirurgische Eingriffe ausgewählt wurden. Der tägliche OP-Plan wurde anschließend gemeinsam mit dem leitenden Bordarzt erstellt und gedruckt.
Täglicher Ablauf:
- 6:00 Uhr: Ticketvergabe für 150-175 Patienten
- 7:45 Uhr: Visite der postoperativen Patienten im Shelter
- 8:00-16:30/19:30 Uhr: Operationen (durchschnittlich 8 Stunden täglich)
- 9:00-16:30 Uhr: Ambulante Sprechstunden (Pädiatrie, Allgemeinmedizin, Orthopädie, Physiotherapie)
- 13:00-14:00 Uhr: Gemeinsame Mittagspause
- 19:00 Uhr: Abendessen
Jeder Patient erhielt ein persönliches Behandlungsheft, in dem alle Befunde, Vitalzeichen, Medikation und OP-Verläufe dokumentiert wurden.
Behandlungszahlen und Spektren
Innerhalb von 10 Arbeitstagen behandelte das ÄCI-Team insgesamt knapp 1.000 Patienten:
- Chirurgie/Urologie: 52 Patienten, 55 Operationen
- Pädiatrie: 220 Kinder
- Allgemeinmedizin: 390 Patienten
- Orthopädie: 280 Patienten
- Physiotherapie: 55 Patienten
Chirurgisches Spektrum
- Leistenhernien- und Hydrozelen-Reparationen
- Orchidolysen und -pexien
- Spermatozelen-Resektionen
- Perianale Abszessinzisionen
- Exzision großer Atherome und eines Lipoms im Nacken
Die meisten Patienten konnten bereits am 2. oder 3. postoperativen Tag entlassen werden.
Pädiatrie
Behandelt wurden unter anderem:
- Hauterkrankungen (Skabies, Erysipel, Dermatitis)
- Mangelernährung, massiver Karies
- Infektionen (respiratorisch, Typhus-Verdacht)
- Neurologische Erkrankungen (Zerebralparese, Epilepsie, Autismus)
- Urologische Befunde (Enuresis, Hodenatrophie)
- Fehlbildungen, Frakturen, Amputationen
Ultraschalluntersuchungen - auch bei Schwangeren - wurden regelmäßig durchgeführt.
Orthopädie
Schwerpunkte:
- Rücken-, Knie- und Schulterschmerzen
- Fußdeformitäten (Klump-, Knick-, Senkfuß)
- Skoliose, Beinlängendifferenzen
- Frakturennachsorge, Pseudarthrosen
- Schmerztherapie durch Infiltrationen
- Taping, Chiropraktik, Orthesenversorgung
Das Bordpersonal wurde in Taping-Techniken und sterilen Infiltrationen geschult.
Physiotherapie
Das Team behandelte Patienten im Alter von 1 bis 85 Jahren, darunter viele mit:
- Bandscheibenproblemen
- Muskel-Dysbalancen durch Lastentragen
- Skoliosen, Athetosen
- Prä- und postoperative Klumpfußtherapie
Zusätzlich wurde ein zweitägiges Seminar für 14 Hebammen zum Thema „Postnatale Gymnastik“ durchgeführt - inklusive mehrsprachiger Handouts zur Weitergabe an Mütter.
Besonderheiten und Herausforderungen
Trotz der hohen Arbeitsbelastung verlief die Mission reibungslos. Das Friendship-Team sprach fließend Englisch und übersetzte zuverlässig zwischen den zahlreichen lokalen Dialekten des Bangla/Bengali.
Einige körperliche Untersuchungen, insbesondere durch Ärztinnen bei männlichen oder männlichen Ärzten bei weiblichen Patienten, gestalteten sich aufgrund des muslimischen kulturellen Hintergrunds gelegentlich sensibel und erforderten taktvolle Absprachen.
Umwelt- und Strukturverbesserungsvorschläge
Obwohl die medizinische Arbeit hervorragend organisiert war, bleibt die Umweltverschmutzung in der Region ein gravierendes Problem. Plastik- und organischer Abfall landen oft ungeordnet im Fluss oder im Camp.
Empfehlung:
- Platzierung einer auffällig farbigen Abfalltonne am Eingang zum Shelter
- Bewusstseinskampagne für Patienten und Begleitpersonen zur Nutzung der Tonne
- Regelmäßige Entsorgung durch Verbrennung, um die Verschmutzung des Brahmaputra zu vermeiden
Zudem wurde empfohlen, für postoperative Klumpfuß-Kinder standardisierte Operations- und Nachbehandlungspläne einzuführen, um die Therapiekontinuität zu sichern.
Rückreise
Am 21. November verließ das Team das Hospitalschiff und kehrte über Meghai Ghat und eine fünfstündige Fahrt nach Dhaka zurück. Nach einer kurzen Übernachtung im Hotel startete am 22. November der Rückflug über Dubai nach München, Hamburg und Wien.
Fazit
Der Einsatz auf der Lifebuoy war außerordentlich erfolgreich. Die Zusammenarbeit mit dem hochmotivierten Friendship-Team war von großer Professionalität, Offenheit und gegenseitigem Respekt geprägt.
Im Gegensatz zu anderen Einsatzregionen - etwa Tanzania - zeichnet sich die Arbeit in Bangladesh durch hohen Arbeitstempo, klare Strukturen und effiziente Kommunikation aus. Die Menschen kommen pünktlich, geduldig und mit großer Hoffnung - oft nach mehrtägigen Fußmärschen - zum Schiff.
Ärztecamp International konnte nicht nur akute Leiden lindern, sondern auch nachhaltiges Wissen vermitteln. Die Mission hat erneut gezeigt: Medizin kennt keine Grenzen - aber sie braucht Struktur, Respekt und menschliche Nähe.